5 TAGE AUF SEE – NADIR FINDET MENSCHEN, DIE ZUVOR ALS VERMISST GALTEN

Einsatzbericht 2 – 2025 (5.4.–26.4.2025)

Im April half die NADIR 129 Menschen in Not in drei verschiedenen Seenotfällen im zentralen Mittelmeer. Nachdem das Schiff durch einen Sturm aus dem Gebiet gedrängt worden war, gelang es der Crew zudem Personen zu finden, die seit mehreren Tagen als vermisst galten.

Eine trainierte Crew beginnt ihren Einsatz.

Nach intensiven Trainingseinheiten stach die NADIR in der Nacht vom 8. April zu ihrem diesjähirg zweiten Such- und Rettungseinsatz (SAR) in See und erreichte schnell das Einsatzgebiet vor den Küsten Libyens und Tunesiens. 

Während der ersten Tage auf See sichtete die Besatzung weder Boote in Not, noch erhielt sie Mayday Relais. Allerdings begegnete sie der sogenannten libyschen Küstenwache (scLCG), die wahrscheinlich an Rückführungsaktionen, sogenannten Pullbacks, beteiligt war. Eine bewaffnete scLCG-Patrouille näherte sich dem Schiff, erkundigte sich per Funk nach Sichtungen von Booten und beobachtete die Besatzung mit Ferngläsern, bevor sie sich wieder entfernte. 

Da trotz verbesserter Wetterbedingungen keine Meldungen von Seenotfälle vorlagen, nutzte die Besatzung die Zeit, um ihre Einsatztechniken zu verfeinern. Sie erprobte zusätzliche Hilfsmittel wie die Drohne von SEARCH-WING und eine Wärmebildkamera, die insbesondere bei Nacht die Suchmöglichkeiten erheblich ausgeweitet. Die Crew verfolgte Rettungseinsätze in der Umgebung, unterstützte eine laufende Suche, die über ALARMPHONE gemeldet worden war, und half dabei, die Reichweite der Rettungskoordination zu vergrößern.

Wie erhalten SAR-Crews Kenntnis von Booten in Not?

Zivile Akteure im zentralen Mittelmeer werden auf verschiedene Weise alarmiert. Zum einen über ALARMPHONE, ein Solidaritätsnetzwerk, das Notrufe von Menschen auf See oder deren Angehörigen entgegennimmt. Die NGO leistet enorm wichtige Arbeit, da sie Details wie Koordinaten eines Seenotfalls, die Anzahl der Personen an Bord und den Bootstyp sowohl an die Behörden als auch an die zivile SAR-Einheiten auf dem Mittelmeer weiterleitet.

Zweitens können Besatzungen Boote auch direkt sichten. Dies ist jedoch seltener der Fall, da es besonders nachts, bei rauer See oder inmitten von Fischkuttern herausfordernd ist, Boote ausfindig zu machen. Um die Sichtbarkeit zu maximieren, werden in den Beobachtungsschichten an Bord der NADIR Ferngläser, eine Wärmebildkamera und ein Radar eingesetzt.

Drittens überwachen die Besatzungen kontinuierlich die Funkkanäle auf Mayday Relais, das sind Notrufe, die von anderen Booten oder Flugzeugen ausgesendet werden. Diese müssen laut Gesetz an alle Schiffe in der Nähe weitergeleitet werden. Die für die jeweiligen Nationalgewässer zuständigen Seenotrettungskoordinierungszentren (Maritime Rescue Coordination Centre – MRCC) übernehmen die Koordinierung der Rettungsmaßnahmen und sind für die Zuweisung eines sicheren Hafens nach einer Evakuierung zuständig.

Alle drei Erkennungsmethoden erfordern enorme Aufmerksamkeit und Ausdauer. Sie sind anspruchsvoll, aber unerlässlich, um Menschen in Seenot zu finden.

Erstkontakt der Überlebenden mit der Crew des NADIR-Tenders mit Glasfaserboot auf dem Mittelmeer

Ein nahezu reibungsloser Fall und eine raue Fahrt nach Lampedusa

Am 12. April gegen 13 Uhr erhielt NADIR über ALARMPHONE einen Notruf über einen Notfall in der Nähe. Die Besatzung unterbrach sofort ihre Routinekontrollen und informierte die Behörden über ihre Absicht, zu reagieren.

Die NADIR erreichte den gemeldeten Ort und traf dort auf 47 Personen an Bord des Glasfaserboots. Die Crew nahm Erstkontakt auf und verteilte Schwimmwesten an alle Überlebenden. Die Stimmung unter den Personen an Bord war relativ ruhig. Die Überlebenden berichteten, dass sie in der vergangenen Nacht aufgebrochen waren.

Unter noch günstigen Wetterbedingungen und mit Genehmigung des MRCCs Rom setzte die NADIR ihr Beiboot ein, um einen sicheren Transfer der Überlebenden an Bord der NADIR zu gewährleisten. Um 17 Uhr hatten alle Personen sicher die NADIR erreicht. Müde, aber erleichtert erhielten sie eine medizinische Erstversorgung, Wasser, Snacks und Rettungsdecken, um sich vor der Kälte und Nässe zu schützen.

Lampedusa wurde als Sicherer Hafen zugewiesen und die NADIR nahm ihren Kurs in Richtung Norden auf. Die Überfahrt begann ruhig, doch über Nacht kam starker Wind auf. Wellen schlugen über den Bug und durchnässten die Überlebenden auf dem Deck. Einige von ihnen hatten sehr mit den sich verschlechternden Bedingungen zu kämpfen. Die Crewmitglieder wechselten sich ab, um sich um sie zu kümmern. Aber das Schiff ist so gebaut, dass es ihnen an Deck nicht viel Schutz gegen die hohen Wellen bieten konnte. 

Bei Tagesanbruch tauchte die Insel Lampedusa am Horizont auf, was die Stimmung an Bord merklich hob. Warmes Porridge half dabei, neue Energie zu tanken. Hätten wir die Menschen nicht rechtzeitig gefunden, wären sie derselben Sturmfront auf einem seeuntauglichen Fiberglassboot ausgesetzt gewesen. In den Morgenstunden erreichte die NADIR den Hafen von Lampedusa. Alle Überlebenden gingen sicher von Bord, wo lokale zivile Initiativen und Behörden sie erwarteten. Auch Strafverfolgungsbehörden und Frontex-Mitarbeitende waren anwesend. Für viele der Personen stellte die sofortige Befragung nach dieser Strapaze eine zusätzliche Belastung dar. 

Ankunft der Überlebenden an Bord der NADIR auf Lampedusa

Manchmal können wir nur warten…

Nach der Ankunft in Lampedusa blieb die NADIR im Hafen und war somit vor den erneut erstarkenden Winden geschützt. Die Besatzung wartete auf Nachrichten von anderen zivilen Schiffen, die sich noch auf See befanden, darunter die TROTAMAR III und die AITA MARI. Sie hatten innerhalb des Einsatzgebiets mit extremem Wetter zu kämpfen. Als sie sicher ankamen, war die Erleichterung groß.  

Einige Tage später, nach einer Wetterbesserung, verließ die NADIR Lampedusa und nahm Kurs Richtung Süden. Die Wetterbedingungen ließen Abfahrten aus Tunesien oder Libyen möglich erscheinen, doch in den folgenden sieben Tagen sichtete die Besatzung der NADIR weder Boote, noch erhielt sie irgendwelche Meldungen. Für etwa ein bis zwei Tage war sogar der Funkverkehr fast vollständig unterbrochen, sodass die Crew atmosphärische Störungen vermutete, welche die Signalübertragung beeinträchtigt hatten. Trotzdem blieb das Beobachtungssystem an Bord aktiv mit regelmäßigen Schichten und täglichen Briefings zum Austausch aktueller Informationen. 

Unsere Crew nutzte diese ruhigere Phase, um das Training zu vertiefen, insbesondere für diejenigen, die zum ersten Mal im Einsatz waren. Stärkere Winde und steigende Wellen stellten die Ausdauer des Teams auf die Probe. Das Leben auf einem Segelschiff unter solchen Bedingungen – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Überwachungsmaßnahmen rund um die Uhr – kann durchaus fordernd sein. 

Tender-Crew der NADIR nimmt Rettungswesten an Board

Eine Verfehlung 

Als sich am Morgen des 20. April ein neuer Sturm anzukündigen begann, beschloss die Crew, nach Lampedusa zurückzukehren, um erneut Schutz zu suchen. Unterwegs erhielt die NADIR von ALARMPHONE eine Meldung über ein Boot, das von Sfax in Tunesien gestartet war – vermutlich ein Eisenboot, das in Richtung Lampedusa unterwegs war. Da Eisenboote strukturell instabil sind und unter rauen Bedingungen als besonders gefährlich gelten, berechnete die Besatzung eine mögliche Kursrichtung und begann mit der Suche in der Hoffnung, das Boot zu finden. Trotz stundenlanger Suche zwangen die immer stärker werdenden Wellen die Besatzung schließlich dazu, die Suche einzustellen und der Sicherheit Vorrang zu geben. 

Auf dem Rückweg nach Lampedusa fanden wir in unmittelbarer Nähe der Insel ein unmarkiertes, leeres Holzboot. Dieser Anblick war beunruhigend und unterstrich die Gefährlichkeit dieser Überfahrten. 

Ein leeres Holzboot, in dem sich neben etlichen Luftkammern, einige Kanister und schwer identifizierbare persönliche Gegenstände befinden

Eine letzte Schicht – und eine unerwartete Begegnung. 

Nach etwa 24 Stunden im Hafen lief die NADIR am 22. April wieder aus. Obwohl die See noch nicht gänzlich beruhigt war, war die Besatzung motiviert, in das Einsatzgebiet zurückzukehren, sobald die Bedingungen eine sinnvolle Beobachtung zuließen. 

Angesichts der langen Ruhephase rechnete niemand mit einem sofortigen Kontakt, doch die Situation änderte sich schnell als die NADIR am Abend einen Notruf von ALARMPHONE erhielt: Ein Holzboot war in Seenot gesichtet worden, befand sich in unmittelbarer Nähe und bewegte sich direkt auf die Position der NADIR zu. Die Vorbereitungen für das Abendessen wurden abgebrochen und die Crew schaltete in den Einsatzmodus. 

Am Horizont wurde ein blaues, doppelstöckiges Holzboot gesichtet. Das Tenderteam schiffte sich ein, um den ersten Kontakt herzustellen, und traf auf 45 Personen an Bord. Alle an Bord wirkten gefasst, während die Rettungswesten verteilt wurden. 

Die Genehmigung zur Evakuierung verzögerte sich um fast eine Stunde. Da das Boot jedoch gerade noch stabil wirkte und alle Passagiere mit Schwimmwesten ausgestattet waren, wartete die NADIR in unmittelbarer Nähe in Bereitschaft. Sobald die Erlaubnis vorlag, näherte sich die NADIRbehutsam und nahm alle Überlebenden an Bord. Der Vorgang verlief reibungslos. 

Als die Nacht hereinbrach und das Schiff sich auf dem Weg nach Norden befand, erschien in der Ferne ein kleines, flackerndes Licht. Die diensthabende Schichtleitung beschloss, der Sache nachzugehen. Da gerade Schichtwechsel war, schlossen sich zwei weitere Besatzungsmitglieder der Suche an. Als sie sich dem Licht näherte, wurde klar, dass es sich um ein weiteres Boot mit Menschen an Bord handelte. Die gesamte Besatzung bereitete sich auf einen weiteren Einsatz vor. Zwar hatten alle Crewmitglieder bereits Menschen zu versorgen, doch die Aufgaben wurden schnell neu verteilt, die Materialien aufgefüllt und die Unterstützungsteams machten sich bereit – diesmal mit bereits 45 Menschen an Bord der NADIR. 

Ein vermisstes Boot 

Das zweite Boot stellte sich als überfülltes und instabiles Eisenboot heraus. Die Menschen an Bord schrien, weinten und signalisierten um Hilfe. Das Boot nahm Wasser auf. Als die NADIR näherkam, änderte sich die Stimmung: Erleichterung machte sich breit, einige Menschen ließen ihren Emotionen freien Lauf. 

Die Besatzung erkannte schnell, dass es sich um dasselbe Schiff handelte, nach dem sie vier Tage zuvor gesucht hatten, bevor sie Schutz vor dem Sturm gesucht hatten. Die Menschen waren seit fünf Tagen auf See und hatten bereits schwere Unwetter überstanden. 

An Bord befanden sich 92 Menschen, darunter elf Frauen, zwei Babys im Alter von einem und fünf Monaten sowie eine schwangere Frau. Die Besatzung gab Frauen, Kindern und Personen in schwacher Verfassung Vorrang beim Transfer mit dem Beiboot. Anschließend wurden alle weiteren Personen auf die NADIR überführt. Der Platz an Bord war nun äußerst begrenzt. Jeder verfügbare Platz wurde genutzt, um die Geretteten unterzubringen. Die Besatzung konzentrierte sich auf die unmittelbaren Bedürfnisse und kümmerte sich um die Behandlung von chemischen Verbrennungswunden sowie um die Fälle starker Dehydrierung und Erschöpfung. 

Zwei Stunden später teilte die italienische Küstenwache der NADIR mit, dass sie 87 Personen an Bord ihres Schiffes bringen würden. Die übrigen fünf Personen blieben auf der NADIR. Da nun mehr Platz zur Verfügung stand, konnte sich die Besatzung besser um die Gruppe der an Bord Verbliebenen kümmern. Es wurde eine warme Pasta-Mahlzeit verteilt und alle fanden einen Platz zum Ausruhen – erschöpft, aber in Sicherheit. 

Wir bereiteten die Ablösung vor. 

Zurück an Land bereiteten wir uns auf die Übernahme durch die Crew Nr. 3 vor. Die letzten Tage auf See waren intensiv gewesen, aber auch geprägt von guter Koordination, gegenseitigem Vertrauen und dem gemeinsamen Ziel, auf See präsent zu sein und Unterstützung zu leisten. 

Überwachungsoperationen wie diese sind von Unsicherheit, langen Wartezeiten und plötzlichen Entscheidungsmomenten geprägt. Was sie zusammenhält, ist das Engagement aller Beteiligten – an Bord, in den Netzwerken an Land und bei allen zivilen Akteuren, die sich für einen gerechteren und humaneren Ansatz zur Unterstützung der Bewegungsfreiheit aller Menschen einsetzen. 

Bildrechte: Elie Elasmar | RESQSHIP e. V.

Further Articles

Geschenk gesucht? Schenke eine Spende!

Geschenk gesucht? Schenke eine Spende!

Unsere Geschenkidee für Geburtstage und besondere Menschen:Eine Freude machen, etwas Sinnvolles schenken und dabei etwas Gutes tun? Gelegenheiten gibt es viele: ob zum Geburtstag von Freunden oder Familienangehörigen, zum Valentinstag, oder nutzt ein Firmenjubiläum,...

mehr lesen

Contact Us

Google Maps

Mit dem Laden der Karte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Google.
Mehr erfahren

Karte laden

RESQSHIP

Impressum

Resqship e.V. Osterrade 4, 21031 Hamburg
© 2024 RESQSHIP

Spendenkonto:

IBAN:   DE 18 4306 0967 2070 8145 00
BIC:   GENO DE M1 GLS
GLS Gemeinschaftsbank eG