Einsatzbericht 9 – 2025 (27.09.25-18.10.25) verfasst von Piet Wuebker
Der Einsatz begann mit dem Ablegen aus Malta Ende Oktober, nach sorgfältiger Vorbereitung und Auffüllen des Proviants. Die NADIR fuhr in Richtung Lampedusa, wo wir zunächstnördlich der Insel Trainingeinheiten durchführten – eine wertvolle Zeit, um die Abläufe an Bord zu verinnerlichen. Dabei übten wir intensiv mit dem Beiboot und mit der Sicherheitsausrüstung, um für unsere Beobachtungseinsätze bestens vorbereitet zu sein.
Widrige Wetterbedingungen auf dem Mittelmeer
Doch erst einmal holte uns das Wetter ein. Ein herannahendes Gewitter zwang uns, im Hafen von Lampedusa zu ankern. Diese ungewollte Ruhephase nutzten wir, um kleinereInstandhaltungsmaßnahmen durchzuführen – vor allem am Hauptschiff und am Motor unseresBeiboots.
Als sich der Sturm gelegt hatte, fuhren wir unmittelbar ins Einsatzgebiet. Auf dieser Fahrtentdeckten wir 77 Menschen an Bord eines hölzernen Bootes. Das Boot war seeuntüchtig und der Motor defekt. Wir verteilten Rettungswesten und gaben erste Unterstützung. Kurz darauf nahm die italienische Küstenwache die Menschen mit ihrem Rettungsboot auf und brachte sie anschließendnach Lampedusa.
SeaBird unterstützt aus der Luft
Doch es sollte nicht bei einem Boot bleiben. Die SeaBird, ein ziviles Aufklärungsflugzeug der NGO Sea-Watch, meldete bald, dass sich 68 Menschen an Bord eines zweiten, seeuntüchtigen Holzbootes befänden – ganz in unserer Nähe. Kurz darauf konnten wir sie ausfindig machen und stabilisierten die Situation mit unserem Beiboot bis die Personen von der italienische Küstenwache aufgenommenwerden konnten. In der Nacht stießen wir auf ein drittes Boot: leer und bereits markiert. Dies zeigte uns, dass die Personen offenbar bereits in Sicherheit gebracht worden waren.
Obwohl wir die 68 Personen lediglich erstversorgt und nicht selbst an Bord der NADIR geholt hatten, wurden wir nach Lampedusa zurückgerufen, um den italienischen Behörden unseren Berichtzu überreichen.
Kurz darauf liefen wir erneut aus und erhielten umgehend neue Koordinaten von SeaBird. Anhanddieser Position konnten wir in der Nacht ein weiteres Holzboot mit Menschen an Bord finden. Während wir die Personen erstversorgten und Rettungswesten verteilten, sprangen zwei Menschen in Panik ins Wasser. Unser Tender-Team konnte beide schnell aus dem Wasser holen und sicher an Bord nehmen. Später konnten alle Personen auf ein Schiff der italienischen Küstenwacheumsteigen.
Nur wenig später erhielten wir einen Hinweis von AlarmPhone – Watch the Med und konnten bereits zwei Stunden später 75 Personen ausfindig machen. Sie befanden sich an Bord eines Holzbootes mit hohem Motorraum. Dieser Bootstyp ist besonders gefährlich, denn Personen, die in im Unterdeck untergebracht werden, sind giftigen Benzingasen und einer hohen Erstickungsgefahr ausgesetzt. Im letzten Jahr hat unsere NADIR-Crew zehn leblose Menschen aus einem solchen Boot bergen müssen.
Auch das Frachtschiff IVY1 war zu Hilfe gekommen, nachdem es das Mayday Relay über Funk empfangenhatte. Dies ist besonders berichtens- und bemerkenswert, da Hilfsangebote von kommerziellen Frachtern in Fällen von Seenot flüchtender Menschen leider sehr selten sind. IVY1 bot uns Schutz vor Wind und den zwei Meter hohen Wellen und informierte die zuständigen Behörden, woraufhin – wenig später – die italienische Küstenwache eintraf und die Menschen an Bord ihres Rettungsboots nahm.
Wieder kehrten wir zurück nach Lampedusa, übergaben den geforderten Bericht und legten umgehend wieder ab mit Kurs auf das Einsatzgebiet zwischen Lybien, Tunesien und Italien.
Nicht seetüchtiges Boot voraus
Während der Fahrt trafen wir auf 56 Menschen an Bord eines komplett überfüllten und seeuntüchtigen schwarzen Schlauchboots. In enger Abstimmung mit den Behörden nahmen wir alle 56 Menschen an Bord der NADIR. Viele litten an ausgeprägter Seekrankheit, die die Crew der NADIR behandelte. Wir bereiteten eine warme Mahlzeit für die erschöpften Menschen zu und verteilten Decken, um sich gegen die kühle Nacht zu schützen.
Am Morgen des Folgetags erreichten wir Lampedusa. Dort brachten wir die Personen an Land. Es war ein Moment großer Erleichterung, aber auch des Nachdenkens: Diese Menschen hatten geradeso viel überstanden – und dennoch eine unsichere Zukunft vor sich.
Gegen Mittag stachen wir wieder in See, erneut mit Koordinaten von SeaBird. Doch bevor wir dort ankamen, hatte die italienische Küstenwache die Menschen schon evakuiert.
Nächtliche Suche nach einem Schlauchboot in Seenot und Zusammenarbeit mit der Louise Michel
Am folgenden Abend meldete SeaBird, dass sich 75 Menschen in Seenot auf einem Schlauchboot nahe eines tunesischen Ölterminals befänden. Unsere Suche zog sich bis in die frühenMorgenstunden. Die Menschen waren sehr erschöpft und das Schlauchboot war in einem extrem gefährlichen Zustand: Wasser lief ein und die Motoren waren defekt.
Wir verteilten Rettungswesten und evakuierten alle Personen auf die NADIR Gleichzeitig traf das zivile Einsatzschiff Louise Michel ein und unterstützte unsere Rettungsaktion mittels Beiboot. Die Zusammenarbeit verlief reibungslos und wir waren – wie so häufig – froh und dankbar für die große Solidarität zwischen den zivilen Akteuren auf dem zentralen Mittelmeer.
Medizinisch war die Lage dennoch angespannt. Alle Personen waren durchnässt und erschöpft. Eine Person war so schwach, dass sie getragen werden musste. Zwei weitere Menschen litten unter chemischen Brandverletzungen, die durch das Benzin-Salzwasser-Gemisch, das sich im Boot gesammelt hatte, verursacht worden waren. Eine Person mit Diabetes wurde ebenfalls von unsererCrew versorgt.
Nach der medizinischen Erstversorgung richteten wir am Heck der NADIR eine Dusche ein, hieltenRettungsdecken gegen die nächtliche Kälte bereit und bereiteten eine warme Mahlzeit zu – die dreiTage auf See hatten ihre Spuren bei den Menschen hinterlassen
Port of Safety: Wieder Lampedusa
Auf dem Weg nach Lampedusa, dem designierten Port of Safety, gab uns AlarmPhone eine weitere Position von einem Boot mit gebrochenem Boden und Wassereinbruch durch. Fast zeitgleich trafen wir dort mit der Louise Michel ein, von der die Menschen an Bord genommen wurden.
Ein ereignisreicher Einsatz
Der 9. Einsatz der NADIR war geprägt von Anspannung, wechselnden Emotionen und der unermüdlichen Zusammenarbeit zwischen den zivilen Akteuren wie Sea-Watchs SeaBird, AlarmPhone, Louise Michel, aber auch der handelsgewerblichen Seefahrt und der italienischen Küstenwache. Wir sind dankbar, dass wir 449 Menschen auf diesem Einsatz unterstützen konnten und wünschen Ihnen alles Gute, vor allem aber ein menschwürdiges Leben in Sicherheit. Unsere Erleichterung gilt allen, die es ohne jegliche Hilfe über eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt nach Europa geschafft haben. Unsere Gedanken sind bei den unzähligen Menschen, Frauen, Kindern und Männern, die bei der Flucht in eine sichere Zukunft ihr Leben verloren haben.
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