Einsatzbericht 1 – 2025 (8.3.–29.3.2025)
Mokwele, 30 Jahre, aus Kamerun,
und
Nazem, 23 Jahre, aus dem Sudan.
Überschattet wird unser Einsatz von dem Tod zweier Menschen. Sie ertranken während unseres zweiten Rettungseinsatzes in der Nacht vom 15. auf den 16. März 2025 in der libyschen Such- und Rettungszone (SAR).
In dieser Nacht trafen wir gegen Mitternacht in der Nähe einer libyschen Ölplattform auf ein überfülltes grünes Schlauchboot, das bereits komplett mit Wasser gefüllt war. Wir hatten von dem Boot durch einen Mayday Relay – der Weiterleitung eines Hilferufs – eines Frontex -Flugzeugs erfahren. Aufgrund starken Windes und hohen Wellengangs haben wir entschieden, von der NADIR aus Rettungswesten zu übergeben und die Menschen längsseits direkt an Bord zu holen. Die Personen auf dem Schlauchboot waren sehr verängstigt und drängten sich zu den Schwimmwesten. Dabei fielen aufgrund des starken Wellengangs und des völlig überfüllten Bootes Menschen, die auf den Außenschläuchen saßen, ins Wasser. Einige im Wasser schwimmende Personen wurden durch den starken Wind sehr schnell von der NADIR weggetrieben, so dass wir uns beeilen mussten, sie in der dunklen stürmischen Nacht zu finden. Und obwohl wir sofort unsere Centifloats, lange aufgeblasene Luftschläuche, sowie Rettungsringe über Bord warfen und das Beiboot zu Wasser ließen, war es uns nicht möglich, alle Personen zu retten. Wir trauern um Nazem und Mokwele, die unsere Hilfe nicht erreichen konnte.
Sieben Personen konnten wir direkt auf die NADIR bzw. mit Hilfe unseres Tenders evakuieren – unter ihnen Noori, ein fünfjähriger Junge, fünf Frauen sowie einige unbegleitete Minderjährige. Als die 67 Menschen an Bord der NADIR waren, traten wir unsere 20-stündige Rückfahrt nach Lampedusa an – gegen Welle und Wind. Ungefähr jede zweite Welle flutete das Vorschiff der NADIR – den Bereich, in dem gewöhnlich der Großteil unserer Gäste untergebracht wird. So viele Personen, wie möglich, haben deshalb während der Überfahrt im Achter- und Unterdeck der NADIR Schutz gefunden – insgesamt 23 Personen, darunter die Frauen und das Kind. Lediglich acht Personen mussten wegen Platzmangels im vorderen, aber geschützteren Bereich zwischen dem Mast und dem Deckshaus verbleiben.
Erst einen halben Tag später legte sich der Wind langsam und Stunden später auch die Wellen, so dass sich etwas Entspannung auf der NADIR ausbreitete – sowohl bei unseren Gästen als auch bei der Crew. Als es warm genug und die See wieder beruhigter war, konnten die Gäste aus der Kombüse an Deck und wir konnten für sie kochen. Nach dem gemeinsamen Mahl teilten wir wichtige Informationen mit ihnen bezüglich ihrer Ankunft in Lampedusa und Europa sowie nützliche Kontakte für ihren weiteren Weg. Gegen 21 Uhr am 16. März erreichten wir Lampedusa, wo unsere Gäste an Land gingen und die italienischen Behörden und das Rote Kreuz bereits auf sie warteten.
Dieser Einsatz zeigt, dass die Lage für die Schutzsuchenden immer prekärer wird. Der erste Einsatz der NADIR in diesem Jahr verdeutlicht einmal mehr, wie prekär die Situation von Flüchtenden auf dem Mittelmeer ist. Das Boot war offenbar trotz der zu erwarten widrigen Wetterlage in Libyen ab- und nur wenige Stunden später in ein Schlechtwettergebiet eingefahren. Das völlig überfüllte Schlauchboot war für diese Bedingungen nicht geeignet. Doch die Menschen, die in Libyen menschenverachtenden Umständen entfliehen , lassen sich in ihrer Verzweiflung nicht davon abhalten, das hohe Risiko einer Überfahrt einzugehen. Die Kosten für bessere Boote sind für Viele nicht aufzubringen. Unserer Einschätzung nach hätte diese Nacht keiner der Menschen auf der Flucht überlebt, wenn wir sie nicht gefunden hätten.
Solidarität auf dem Zentralen Mittelmeer
In drei weiteren Einsätzen haben wir gemeinsam mit der italienischen Küstenwache, der AURORA von SEA-WATCH sowie der HUMANITY 1 von SOS HUMANITY Menschen auf der Flucht unterstützt und dazu beigetragen, dass sie in Sicherheit gebracht werden konnten.
Am frühen Morgen des 13. März 2025 fanden wir 43 Personen auf einem überfüllten schwarzen Schlauchboot innerhalb der libyschen SAR-Zone. Nach Angaben der Menschen auf dem Boot waren sie seit zwei Tagen unterwegs. Alle verhielten sich ruhig und folgten unseren Anweisungen. Außer Seekrankheit und Erschöpfung gab es zunächst keine medizinische Auffälligkeit. Nachdem wir Rettungswesten und Trinkwasser verteilt hatten, nahmen wir gemeinsam Kurs gen Norden. Nach etwa 2 Stunden teilten die Menschen an Bord des Schlauchboots uns mit, dass eine Person das Bewusstsein verloren habe. Schnell begutachtete unser 2. Bord-Arzt die Lage von unserem Tender aus und wir entschieden, die Person zur medizinischen Betreuung an Bord der NADIR zu nehmen. Wir informierten die zuständigen Rettungsleitstellen darüber und baten um Unterstützung. Etwa 30 Minuten später näherte sich ein Rettungsboot der italienischen Küstenwache und übernahm alle Personen des Schlauchboots sowie die entkräftete Person an Bord der NADIR, die sich dank der Behandlung durch unsere Bordärztin wieder etwas hatte erholen können.

Bei unserem dritten Hilfseinsatz am 18. März 2025 eilten wir einem von PILOTES VOLONTAIRES entdecktem Seenotfall auf der Route von Tripolis nach Sizilien zu Hilfe. Aufgrund der großen Entfernung und des unbekannten Kurses des Holzboots mussten wir fürchten, es zu verpassen – weshalb wir die Crew der AURORA um Unterstützung baten. So erreichte die AURORA das gesuchte Boot etwa eine Stunde früher und stabilisierte die Situation der Menschen auf dem Boot. Bald stellte sich heraus, dass dem Boot der Treibstoff ausgegangen war und das Schiff lediglich trieb. Während die AURORA auf die Entscheidung von Malta und Rom zum weiteren Verfahren wartete, verschlechterte sich das Wetter und die nächtliche Dunkelheit brach herein. Die Personen an Bord eines NGO-Schiffs zu nehmen, drohte somit immer gefährlicher zu werden. Schließlich entschied die AURORA, die Menschen mit ihrem Tender an Bord zu transferieren. Nach einer ersten Fahrt baten sie uns um Unterstützung, da ihr Tender Motorprobleme bekommen hatte und nicht mehr gegen die zunehmend hohen Wellen ankam. So brachten wir mit unserem Tender die verbliebenen 18 Personen zur AURORA. Zunächst wurde dem AURORA-Team ein sicherer Hafen in Sizilien zugewiesen. Wegen der sich rasant verschlechternden Wetterlage, bat die Crew jedoch um Lampedusa als Port of Safety, wo die Personen dann schlussendlich auch an Land gehen durften.
Unser vierter Einsatz ereignete sich in der Nacht vom 24. auf den 25. März innerhalb der libyschen SAR-Zone: Sowohl ALARMPHONE – eine unabhängige Hotline für Menschen in Seenot – als auch das Flugzeug SEABIRD von SEA-WATCH berichteten von einem sich dort befindlichen Holz- bzw. Fiberglas-Boot. Parallel dazu hatte SEABIRD ein anderes Boot mit etwa 75 Personen weiter nördlich innerhalb der maltesischen SAR-Zone entdeckt. Hier eine Entscheidung zu treffen, war auch angesichts des sich rapide verschlechternden Wetters nicht einfach. Erneut waren starker Wind und hohe Wellen sowie Unwetter angekündigt. Als aber klar war, dass die AURORA den Fall im Norden übernimmt, einigten wir uns mit der HUMANITY 1 darauf, Kurs auf die beiden Boote im Südwesten zu halten und erreichten die Position nach Einbruch der Dunkelheit – mit Beginn eines Unwetters. Während wir mit dem Tender der NADIR die Situation der etwa 60 Menschen, auf dem einem Boot stabilisierten, traf auch die HUMANITY 1 ein. Aufgrund der Erfahrungen unseres zweiten Rettungseinsatzes fragten wir die HUMANITY 1 an, ob sie den Gästen einen geschützteren Aufenthalt bieten könne, was die Crew bejahte. Daraufhin nahm die HUMANITY 1 die Passagiere beider Boote an Bord, während wir sowohl mit der NADIR als auch unserem Tender die Situation sicherten.
Auf dem Weg nach Sizilien fand die Crew der HUMANITY 1 im Gespräch mit ihren Gästen heraus, dass es sich bei dem Boot sowohl um das von ALARMPHONE gemeldete als auch um das von SEABIRD entdeckte – also ein- und dasselbe – Boot handelte. So waren wir uns relativ sicher, dass wir in dieser Nacht allen Booten helfen konnten – mit Ausnahme eines ebenfalls von ALARMPHONE gemeldeten Bootes, das nicht gegen die Wellen ankam und wieder zurück an die libysche Küste getrieben worden ist, womit es für uns unerreichbar wurde.

Die solidarische Gemeinschaft der zivile Akteur:i nnen im Zentralen Mittelmeer war während unserer Einsätze deutlich zu spüren. ALARMPHONE, PILOTES VOLONTAIRES, AURORA, SEABIRD (beide SEA-WATCH), HUMANITY 1 (SOS HUMANITY) – aber auch die italienische Küstenwache – zeigten sich solidarisch. Und nicht zuletzt waren wir es, die auf ein Boot nahe der Ölplattform in der maltesischen SAR-Zone durch einen Mayday Relay-Ruf eines Frontex-Flugzeugs aufmerksam geworden waren. Dies zeigt: Wenn alle ihrer humanitären Verantwortung nachkommen, ist eine gute Unterstützung für die Menschen auf der Flucht möglich – auch bei schwierigen Wetterbedingungen. Damit Menschen nicht länger gezwungen sind, die extrem gefährliche Route über das zentrale Mittelmeer zu wählen, fordern wir die Einrichtung humanitärer Korridore sowie eine fundierte Auseinandersetzung mit den Fluchtursachen jener, die sich auf dieser Route befinden – mit dem Ziel, diese Ursachen langfristig zu beseitigen.
Lampedusa – das Tor nach Europa
Solidarität konnten wir auch auf Lampedusa spüren. So erhielten wir nach unserer zweiten Rettung Kleiderspenden von MEDITERRANEAN HOPE, um unseren Vorrat an Bord wieder aufzufüllen. Wir trafen uns mit den Menschen anderer NGOs – MALDUSA, MEDITERRANEAN HOPE, SEA-WATCH, PILOTES VOLONTAIRES, DAKINI. Auch im Rahmen des Festivals BOZA! Il Mediterraneo risuona. Musica e comunità contro il razzismo (19.–22.03.2025) tauschten wir uns mit Mitstreiter:innen anderer Organisationen aus. Gemeinsam gedachten wir den Toten und Vermissten eines Bootes, das am 18. März nordwestlich von Lampedusa entdeckt worden war. Als die italienische Küstenwache dort eingetroffen war, fanden sie nur noch zehn Personen lebend vor. Sechs Leichen konnten geborgen werden, weitere 40 Menschen gelten als vermisst.
Starke Winde und hohe Wellen begleiteten uns während des gesamten ersten Einsatzes und stellten eine Herausforderung für die Crew dar. Aufgrund des saisonbedingt schlechten Wetters waren insgesamt wenige Boote auf See und auch wir verbrachten neben unseren zehn Tagen auf See weitere sechs Tage zum sogenannten »Abwettern« auf Lampedusa. Während unserer Zeit vor Ort besuchten wir das Mahnmal Porta d’Europa (Tor Europas) und gestalteten auf dem Friedhof der Insel ein gemeinsames Abschiedsritual für Mokwele und Nazem. Die Beiden sind in unseren Gedanken und unsere Gedanken bei ihren Angehörigen.
Wir sind traurig über den Tod der beiden jungen Männer und wütend auf die rassistische Politik der EU. Wir sind entschlossen, weiter aktiv für das Recht auf Bewegungsfreiheit ALLER Menschen und ganz besonders der Schutzsuchenden zu streiten und zu kämpfen!
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