NADIR wird von den italienischen Behörden für 20 Tage festgesetzt

Einsatzbericht 4 – 2025 (31.5.–21.6.2025)

Das prägende Ereignis des 4. Einsatzes in Jahr 2025 war die Festsetzung durch die italienischen Behörden – das erste Mal in der Vereinsgeschichte von RESQSHIP. Schon nach der ersten Rettung war dieser Einsatz plötzlich und unerwartet vorbei.

Die Rettung, die zur Festsetzung führte

Am Abend des 5. Juni fanden wir beim Patrollieren rein zufällig ein überfülltes, seeuntaugliches Holzboot. Als wir auf das Boot zusteuerten, um zu helfen, bekamen die Menschen an Bord offensichtlich Angst und versuchten vor uns zu fliehen. Nach einer Weile erkannten sie aber, dass wir keine Gefahr darstellten. Wir erfuhren später, dass die Menschen befürchtet hatten, wir wären die sogenannte libysche Küstenwache. Der Vorfall steht exemplarisch für das Grauen, das viele Menschen in Libyen erlebt haben und verdeutlicht ihre Angst vor einer Rückkehr dorthin. 

Die Menschen auf dem Boot berichteten uns während des Ernstkontakts, dass sich 115 Menschen an Bord aufhielten (später stellte sich heraus, dass es 112 waren), und dass das Boot ein Unterdeck habe, in dem sich Menschen befänden. In genau solchen Unterdecks hatten Crews der NADIR in der Vergangenheit bewusstlose und sogar Tote gefunden, die an den sich dort ansammelnden Benzindämpfen erstickt waren. Da wir davon ausgehen mussten, dass für die Menschen im Unterdeck akute Lebensgefahr bestand, beschlossen wir, alle Menschen unverzüglich an Bord der NADIR zu nehmen.

Es folgten nervenaufreibende Stunden der Evakuation. Die See war relativ rau mit etwa ein Meter hohen Wellen, was sowohl den Überstieg vom Boot auf unseren Tender als auch vom Tender auf die NADIR erheblich erschwerte. Es waren 5 kleine Kinder an Bord, um die wir uns natürlich besonders Sorgen machten.  Unsere Tendercrew brachte unermüdlich Menschen zur NADIR, während die Crew an Bord dafür sorgte, dass alle Ankommenden geordnet aufgenommen wurden, sodass schließlich alle 112 Menschen auf dem nur 18 Meter langen Motorsegler Platz fanden. Keine leichte Aufgabe auf so begrenztem Raum. Währenddessen versorgte unser Arzt einen stark dehydrierten Menschen unter Deck. Unser  Fazit der Evakuation: Trotz der herausfordernden Umstände sind wir erleichtert und froh, dass alles so gut funktioniert hat.

Als die Evakuation in den frühen Morgenstunden endlich abgeschlossen war, überprüften wir noch, ob sich wirklich keine Menschen mehr im Unterdeck des Bootes befanden, bevor wir Kurs auf Lampedusa setzten.

Die Festsetzung  

Wir hatten Lampedusa als Sicheren Hafen zugewiesen bekommen und nahmen unseren Kurs auf. Nach mehreren Stunden Fahrt tauchte ein Schiff der italienischen Küstenwache auf, und die Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom teilte uns am Telefon mit, dass wir besonders schutzbedürftige Menschen an dieses Schiff übergeben und danach mit den restlichen Menschen dann nach Porto Empedocle auf Sizilien fahren sollten. Porto Empedocle lag eine etwa 24-stündige Überfahrt von unserem Standpunkt entfernt. Wir äußerten Bedenken gegen die Übergabe von einigen Menschen auf das Schiff der Küstenwache: Zum einen wäre das Manöver gefährlich gewesen, da die NADIR mit unseren 112 Gästen sehr voll war und wir kaum sicher Leinen hätten übergeben können. Die Übergabe von nur wenigen Menschen hätte zudem zu Unruhe oder gar Panik an Bord führen und damit die Stabilität unseres Schiffs kompromittieren können. Zum anderen besorgten uns die sprachlichen Barrieren: Es bestand das Risiko, dass wir Familien trennen könnten oder dass wir unsichtbare Vulnerabilitäten nicht hätte ausmachen können. Wir kommunizierten diese Bedenken per E-Mail an das MRCC, bekamen aber niemals eine Antwort. Die Küstenwacheneinheit vor Ort wiederholte uns ebenfalls, Kurs auf Lampedusa zu halten – wir fuhren also weiter in Richtung Lampedusa. Vor dem Hafen angekommen, baten wir um Einlauferlaubnis, welche wir nach ein paar Minuten auch bekamen. Alle Menschen konnten sicher an Land gehen.

 

Am nächsten Tag – wir hatten geplant im Laufe des Tages wieder auszulaufen – erschien die Küstenwache an unserem Pier und verlangte vom Kapitän auf die Dienststelle mitzukommen. Ihm wurde dann verkündet, dass wir die Anordnungen des MRCC missachtet hätten und deshalb für 20 Tage festgesetzt seien. Zum einen wurde uns vorgeworfen, die libyschen Behörden nicht informiert zu haben (wir hatten es nach Aufforderung des MRCC telefonisch versucht, aber niemanden erreicht). Zum anderen wurde uns vorgeworfen, den zugewiesenen Sicheren Hafen Porto Empedocle ignoriert und die Menschen rechtswidrig nach Lampedusa gebracht zu haben. Allerdings war die Überfahrt nach Porto Empedocle an die Übergabe einiger Menschen an die italienische Küstenwache geknüpft – was nicht geschehen war. Auf unsere Bedenken hatte das MRCC nicht reagiert, weshalb die letzte schriftliche – und also rechtskräftige – Anweisung die Kursnahme auf Lampedusa war. Wir halten deshalb beide Anschuldigungen für unrechtmäßig und haben rechtliche Schritte eingeleitet.

Und jetzt?

Nach unserer Rettung hatte sich das Wetter beruhigt, die See war spiegelglatt und bot somit vielen Menschen die Möglichkeit, die Überfahrt anzutreten. Es war eine absurde Situation: Wir saßen fest in Lampedusa und hörten einen Seenotruf nach dem Nächsten über Funk, konnten aber nichts tun. Wir entschieden, das Beste aus der Situation zu machen: Manche Crewmitglieder planten das Vorgehen gegen die unrechtmäßige Festsetzung. Andere nutzten die Zeit, um das Schiff auf Vordermann zu bringen: Reparaturen, Rettungs- und Segelausrüstung pflegen, Inventar, Ausmisten, Putzen. Nach etwa einer Woche beorderte die Küstenwache uns nach Porto Empedocle auf Sizilien, wo wir den Rest der Festsetzung absitzen mussten.

Was bedeutet das?

Dies war das erste Mal, dass die NADIR von den Behörden festgesetzt wurde. Wir befürchten, es könnte nicht das letzte Mal gewesen sein. Das würde eine massive Einschränkung der Einsatzfähigkeit der NADIR bedeuten und Menschenleben auf See kosten. Wir hoffen das Beste und freuen uns natürlich weiterhin über Unterstützung, die wir nun mehr denn je brauchen. Wir stehen weiter in Solidarität mit den Menschen, die nach Europa kommen wollen, und sind im Einsatz, wann immer es uns möglich ist!

Bildrechte: Leon Salner | RESQSHIP e.V.

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