Einsatzbericht 5 – 2025 (21.6.–12.7.2025)
Festgehalten im Hafen: Warten und Vorbereitungen
Die Crew traf sich in Porto Empedocle – auf unserem Motorsegler NADIR, der zu diesem Zeitpunkt noch festgesetzt war. Die Zeit, in der wir uns nicht auslaufen durften und somit den Menschen auf See nicht zur Hilfe kommen konnten, nutzten wir für intensive Trainings und um uns noch besser mit dem Schiff vertraut zu machen. Erst am 28. Juni – nach 20 Tagen willkürlicher Festsetzung – erhielten wir endlich die Erlaubnis, den Hafen zu verlassen. Tragischerweise sollte die NADIR nach diesem Einsatz erneut in den gleichen Zustand der Blockade zurückkehren.

Auf dem Weg ins Einsatzgebiet südlich von Lampedusa setzten wir unsere Trainigs fort – unter anderem mit Rettungsmitteln wie Centifloats – um auf mögliche Seenotlagen vorbereitet zu sein, insbesondere für den Fall, dass sich Menschen im Wasser befinden.
Erste Begegnung mit 19 Menschen in Seenot
Am Morgen des 1. Juli entdeckten wir ein kleines Holzboot in instabiler Lage – an Bord: 19 Menschen, darunter ein Baby, keine Schwimmwesten, kein Sicherheitsmaterial. Wir verteilten sofort Rettungswesten und Wasser und nahmen Kontakt zu den zuständigen Behörden auf. Solange das Boot auf See trieb, blieben wir in der Nähe, bis schließlich die italienische Küstenwache eintraf und die Menschen nach Lampedusa brachte.
Trotz unserer rein begleitenden Rolle wurden wir im Anschluss nach Lampedusa geordnert, um dort einen außerordentlichen Bericht persönlich abzugeben – ein bürokratischer Aufwand, der unsere Einsatzfähigkeit im Gebiet unnötig unterbrach. Wir hatten keine Personen an Bord genommen und hätten einen Bericht auch per Mail senden können.
Behördliche Hürden statt Rettungseinsätze
Wir versuchten vergeblich, den Behörden Alternativvorschläge zu unterbreiten, um im Einsatzgebiet zu verbleiben. Stattdessen wurden wir gezwungen, über 12 Stunden aus dem Operationsgebiet herauszufahren – in einem Zeitraum, in dem laut ALARMPHONE mindestens drei weitere Notfälle gemeldet wurden, deren Ausgang bis heute unklar ist. Solche Maßnahmen wirken wie ein bewusstes Mittel, um kleinere Schiffe wie die NADIR von ihrer humanitären Arbeit abzuhalten – ähnlich wie die Praxis, entfernte „sichere Häfen“ zuzuweisen.

Rettung von 59 Menschen auf See
Am 4. Juli erhielten wir durch das Aufklärungsflugzeug SEABIRD3 von SEA-WATCH einen Hinweis auf ein in Seenot geratenes Boot, rund 1,5 Stunden von unserer Position entfernt. Bei Ankunft fanden 59 Personen auf einem stark überladenen Holzboot. Die Menschen waren erschöpft, seekrank, dehydriert und seit zwei Tagen auf dem Meer unterwegs, nachdem sie aus Zuwarah (Libyen) aufgebrochen waren. Sie berichteten von Personen unter Deck, was für uns besonders besorgniserregend war. Wir konnten nicht ausschließen, dass sich dort Menschen in akuter Lebensgefahr befanden. Durch die Benzindämpfe bei ausbleibender Luftzirkulation und Sauerstoffmangel, besteht in diesen ›Unterdecks‹ erhebliche Erstickungsgefahr. Im Vorjahr hatte eine Crew der NADIR zehn leblose Körper aus so einem Raum geborgen.
Neben der Ungewissheit über den Gesundheitszustand der Personen unter Deck, war die Gefahr, dass das Holzboot kentern würde, hoch. Aus diesen Gründen entschieden wir, alle Personen an Bord der NADIR zu nehmen, um ihre Sicherheit aller zu gewährleisten und sicherzustellen, dass niemand im Verborgenen des Unterdecks blieb.
Auf unsere Meldung reagierte das italienische Seenotrettungskoordinationszentrum (MRCC) in Rom und wies uns Lampedusa als Sicheren Hafen zu. Die tunesischen Behörden reagierten hingegen nicht. Die Überfahrt dauerte rund acht Stunden. Währenddessen ruhten sich die Überlebenden an Deck der NADIR aus. Am 5. Juli, trafen wir am frühen Morgen in Lampedusa ein. Alle Menschen konnten dort sicher an Land gehen.
Verwaltungsmaßnahmen statt Menschlichkeit
Bereits am Folgetag wurde der Kapitän der NADIR erneut zur Capitaneria einbestellt – ein bekanntes Vorgehen, das beim vorherigen Einsatz die Festsetzung angekündigt hatte. Die Anschuldigung der diesmaligen Blockade lautete, dass beim Mayday Relay das maltesische MRCC nicht informiert worden sei – obwohl die Pflicht zur Weiterleitung bei allen Seenotkoordinationszentren liegt. Die Konsequenz: ein erneut verhängtes Auslaufverbot.
20 Tage Stillstand: eine politisch motivierte Blockade
Damit war klar: Unsere Einsatzfähigkeit wurde erneut aus politischen Gründen eingeschränkt. Am 10. Juli erhielten wir die offizielle Mitteilung über die 20-tägige Festsetzung durch die Präfektur von Agrigent, die zuständige juristische Institution der Region. Ein zweites Mal innerhalb nur eines Monats wurde die NADIR – und mit ihr unsere notwendige Arbeit – bewusst lahmgelegt.
Die Festsetzung
Wir hatten Lampedusa als Sicheren Hafen zugewiesen bekommen und nahmen unseren Kurs auf. Nach mehreren Stunden Fahrt tauchte ein Schiff der italienischen Küstenwache auf, und die Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom teilte uns am Telefon mit, dass wir besonders schutzbedürftige Menschen an dieses Schiff übergeben und danach mit den restlichen Menschen dann nach Porto Empedocle auf Sizilien fahren sollten. Porto Empedocle lag eine etwa 24-stündige Überfahrt von unserem Standpunkt entfernt. Wir äußerten Bedenken gegen die Übergabe von einigen Menschen auf das Schiff der Küstenwache: Zum einen wäre das Manöver gefährlich gewesen, da die NADIR mit unseren 112 Gästen sehr voll war und wir kaum sicher Leinen hätten übergeben können. Die Übergabe von nur wenigen Menschen hätte zudem zu Unruhe oder gar Panik an Bord führen und damit die Stabilität unseres Schiffs kompromittieren können. Zum anderen besorgten uns die sprachlichen Barrieren: Es bestand das Risiko, dass wir Familien trennen könnten oder dass wir unsichtbare Vulnerabilitäten nicht hätte ausmachen können. Wir kommunizierten diese Bedenken per E-Mail an das MRCC, bekamen aber niemals eine Antwort. Die Küstenwacheneinheit vor Ort wiederholte uns ebenfalls, Kurs auf Lampedusa zu halten – wir fuhren also weiter in Richtung Lampedusa. Vor dem Hafen angekommen, baten wir um Einlauferlaubnis, welche wir nach ein paar Minuten auch bekamen. Alle Menschen konnten sicher an Land gehen.

Bildrechte: Gaelle Henkens