Crew der Nadir bei Mission 3 im Dauereinsatz

Missionsbericht von Daniel Kubirski, Crew-Mitglied auf der Nadir auf Mission 3/2021: 

Auf der dritten RESQSHIP-Beobachtungsmission wurden wir Zeuge eines illegalen Pushbacks nach Libyen und trafen auf viele Boote mit Menschen auf der Flucht, die Hilfe benötigten. Gemeinsam mit anderen NGOs vor Ort halfen wir bei der Rettung von etwa 700 Menschen in Seenot und kamen angesichts der vielen Einsätze kaum zur Ruhe. Und dann hatten wir noch eine bedrohliche Begegnung mit einem libyschen Fischkutter.

Illegalen Pushback dokumentiert

Am 27. Juli 2021 stachen wir mit der Nadir zur dritten Beobachtungsmission im zentralen Mittelmeer in See. Wir deckten eine Zone etwa 70 Meilen südlich von Lampedusa, an der Grenze zur libyschen SAR-Zone, ab. Am 31. Juli entdeckten wir nach Hinweisen ein Boot, in dem ursprünglich etwa 80 Menschen unterwegs gewesen waren. Bei unserem Eintreffen am Ort war das Boot jedoch leer und wir konnten über Spuren wie Babywindeln im Boot annehmen, dass sich Kleinkinder und Frauen auf diesem Boot befunden haben mussten. Nach einer Begegnung mit der Sea Watch 3, die etwa zeitgleich dort eintraf, näherten sich zwei Boote der sogenannten libyschen Küstenwache mit hoher Geschwindigkeit. Sie hielten jedoch Abstand, es kam zu keiner direkten Konfrontation. Sie hatten die Menschen an Bord, die wir dem verlassenen Holzboot zuordneten. So wurden wir Zeuge eines illegalen Pushbacks nach Libyen. Die Schilderungen, die aus Libyen bekannt sind, geben Anlass zu größter Sorge.

Nadir im Hafen_Elena Kloppmann
LIbysche Küstenwache_Pushbackl

400 Menschen mit Sea Watch 3 und Ocean Viking gerettet

Wenig später wurden wir über eine Position informiert, an der sich ein Boot mit fast 400 Menschen in Seenot befinden würde. Als wir in der Dunkelheit dort eintrafen, bot sich ein chaotisches Bild. Über einen großen Raum verteilt schwammen Rettungswesten, verschiedene Rettungsmittel und auch Menschen im Wasser. Wir fuhren dort hinein und nahmen auf unser Beiboot drei teils völlig entkräftete Menschen auf. Ohne unser Eingreifen wären sie sicher ertrunken. Wir konnten diese Geretteten später an die Sea Watch 3 übergeben, die bereits vor Ort war. Die Ocean Viking stieß kurz nach uns ebenfalls dazu.

Wir unterstützten die beiden Rettungsschiffe der anderen NGOs, so gut wir konnten. So sicherten wir etwa 130 Menschen, die sich vom Holzboot auf zwei Rettungsinseln gerettet hatten. Wir versorgten sie mit Wasser und blieben in ihrer Nähe, bis sie von den Beibooten der Sea Watch 3 und Ocean Viking geborgen wurden. Dieser Nachteinsatz dauerte fast bis in den Morgen und forderte die ganze Crew stark.

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Überfülltes Holzboot mit rund 400 Menschen an Bord, einige schwimmen im Wasser. Bildnachweis: Adrian Pourviseh / Sea-Watch

Die Sea Watch 3 hatte für diesen akuten Seenotfall ein „Mayday Relay“ ausgelöst, alle Schiffe in der Umgebung haben bei solch einem Notruf per Gesetz Hilfe zu leisten. Ein Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache drehte bereits zehn Seemeilen vor dem Ort des Geschehens ab, der nur vier Meilen entfernte Versorger Maridive 4 reagierte überhaupt nicht, die tunesische Küstenwache, in 30 Seemeilen entfernt in Sfax stationiert, hielt es nicht für nötig, die Motoren anzuwerfen und teilte dies auch noch mit.

Holzboot mit 110 Menschen begleitet

Viel Erholung nach dem anstrengenden Einsatz fanden wir nicht. Schon am Folgetag erreichte uns die Meldung über ein Boot mit 110 Menschen. Wir entdeckten es nach etwa zweistündiger Fahrt in der maltesischen SAR-Zone. Mit unserem Beiboot loteten wir die Lage aus, die Stimmung ist aufgeregt und es war nötig, die Menschen zu beruhigen und sie unserer Hilfe zu vergewissern. Die Kommunikation mit den Insassen gestaltete sich schwierig, wenige sprachen ausreichend Englisch oder Französisch. Wir versorgten die Menschen mit Wasser, das Boot war noch in Fahrt, wir begleiteten es in sicherer Distanz, um im Notfall weiter zu unterstützen.

Wasser verteilen

Bei Einbruch der Dunkelheit verloren wir das unbeleuchtete Boot, fanden es zwei Stunden aber wieder und umkreisten es ab da stundenlang. Die Wellen hatten zugenommen, wir baten die italienische Küstenwache um Hilfe. Drei Stunden später wurden die Menschen von dem Boot hochprofessionell evakuiert.

Übergabe an italienische Küstenwache nachts

160 Menschen in seeuntüchtigem Boot – zwei medizinische Notfälle auf der Nadir versorgt

Der zweite August brachte noch höhere Wellen und eine weitere Meldung über ein Boot mit etwa 160 Menschen, das die Sea Watch 3 auf dem Radar gesehen hatte. Wir entdeckten das Boot um 10:30 Uhr in der maltesischen SAR-Zone. Der Wellengang verhinderte eine Kontaktaufnahme via Beiboot zunächst, und wir beschlossen, das Boot wie beim Fall zuvor zu begleiten. Als nach einigen Stunden der Motor ausfiel, entstand Unruhe auf dem Boot. Dazu signalisierten uns die Insassen, dass sie dringend Wasser benötigen würden. Trotz der hohen Wellen verteilten wir Wasserflaschen an Bord.

Boot_160 Menschen

Bei der Annäherung sprangen zwei der Menschen über Bord und mussten von der Besatzung unseres Beibootes gerettet werden. Ein junger Mann war fast ertrunken. An Bord erlitt er einen Herz-Kreislauf-Stillstand und musste reanimiert werden. Die Sea Watch 3 sendete ein „Mayday Relay“ für die Nadir, nach ca. 30 Minuten trafen zwei Boote der italienischen Küstenwache ein und evakuierten wieder sehr professionell. Neben einem Schiff der „Guardia di Finanza“ überwachten auch zwei Flugzeuge der italienischen und maltesischen Luftwaffe das Gebiet während dieses Einsatzes.

Unsere beiden Notfallpatienten an Bord der Nadir wollten die Italiener leider nicht mitnehmen. Über mehrere Stunden versuchten wir die Italiener und Malteser davon zu überzeugen, dass besonders der reanimierte Patient dringend in ein Krankenhaus zur weiteren Versorgung verbracht werden müsste. Bei Dunkelheit, sechs Stunden nach ihrer Rettung konnten wir die zwei Männer aus Bangladesch zusammen mit einem medizinischen Bericht und negativen Covid-Schnelltests an die Malteser übergeben, die mit einem Patrouillenboot und einem Helikopter gekommen waren.

Medizinischer Notfall
Ital. Küstenwache_Bergung-tags

Bedrohung von libyschem Fischkutter

Bis zu unserem nächsten Einsatz hatten wir einen Ruhetag, den wir für kleinere Reparaturen am Schiff nutzten. Am Abend des Folgetags dann Aufregung an Deck, als ein unbeleuchteter libyscher Fischkutter direkten Kurs auf die Nadir nahm. Weder auf dem AIS noch optisch am Schiff war eine Kennung zu sehen, auch auf Funksprüche reagierte das Schiff nicht. Der Kutter verfolgte die Nadir, wobei er uns teils bedrohlich nah kam, und machte immer wieder den Versuch, uns den Weg abzuschneiden. Wir stoppten und entschieden, die „Angreifer“ zu stellen: Via Megaphon forderten wir sie auf, die gefährlichen Manöver unterlassen und sich von unserem Schiff zu entfernen.

An Bord des ca. 30 Meter langen Fischkutters waren neun Männer in bedrohlich lauernder Haltung zu erkennen. Mit Rufen versuchten sie zu erklären, man wolle uns Zigaretten verkaufen. Über Funk baten wir die italienische Küstenwache mit Nachdruck um Hilfe. Zum Glück, und inzwischen war es dunkel geworden, zeigte sich nach 15 Minuten ein Flugzeug der Italiener am Nachthimmel, nahm Funkkontakt zu uns auf und kreiste noch etwa eine Stunde über unserer Position, während sich der Fischkutter entfernte.

Im Nachgang ordneten wir diesen Vorfall als spontanen und ungeplanten Versuch von Piraterie ein. Dieser Vorfall zeigte auch: Ein Schiff mit deutscher Flagge bekommt Schutz und Unterstützung – im Notfall innerhalb von 15 Minuten. Ein Boot mit Geflüchteten bekommt diese Hilfe in der Regel nur unter hartnäckigen Forderungen und auch nur zögerlich.

Libyscher Fischkutter

25 Menschen aus kleinem Holzboot mit Geo Barents gerettet

Am nächsten Tag (5. August) hörten wir, dass sich die Lage von einem tags zuvor bereits gemeldeten Boot verschlechtert hatte: Motorausfall und eindringendes Wasser – und das bei Seegang von 2,5 Metern und 20 Knoten Wind. Etwa sechs Stunden würden wir dorthin brauchen und es machten sich Sorgen breit, ob wir das Boot rechtzeitig erreichen. Die Geo Barents fuhr einige Meilen hinter uns ebenfalls dorthin. Die Menschen auf dem Boot berichteten, dass sie seit 30 Stunden trieben und sie einen Öltanker sehen konnten. Aufgrund von teils chaotischen Positionsmeldungen war es eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit viel Glück konnten wir das kleine Boot am Horizont entdecken. Der Geo Barents konnten wir nun eine genaue Position angeben.

Wir näherten uns dem Boot und erkannten bald 25 sehr glückliche Gesichter, die zu unserem Erstaunen in unerwartet guter Verfassung waren. Eine der Frauen an Bord war schwanger, doch auch sie gab keinen Grund zur Besorgnis. Wegen der hohen Wellen beschlossen wir, mit einer Evakuierung auf die Geo Barents zu warten. Schützend umrunden wir das Boot in kurzer Distanz, alle Hilfsmittel für den Notfall parat. Kurz darauf kamen die Beiboote der Geo Barents und brachten die Menschen sicher auf ihr Schiff.

Kleines Holzboot
25 Menschen in Holzboot

Fotos: Daniel Kubirski (außer das Bild vom Nachteinsatz mit SW3 und OV)

Am Tag unserer Rückfahrt nach Malta gab es noch eine Begegnung mit der Besatzung der Geo Barents, als wir an ihnen vorbeisegelten. Auch die Geretteten sahen wir gut versorgt auf dem Schiff.

Hervorragende Zusammenarbeit aller NGOs

Diese Mission hat gezeigt, dass die Beobachtung auf dem Mittelmeer für alle Akteure eine wichtige Ergänzung ist. Die Zusammenarbeit mit allen anderen NGOs auf See und an Land war großartig. Ein großer Dank gilt auch unserer Landcrew und den weiteren Akteuren an Land.

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