14 Menschen in Seenot und ein leeres Holzboot vor der „Festung Europa“

von Antonia Laß, Crew-Mitglied auf der Nadir auf Mission 4/2022: 

Während der vierten RESQSHIP-Beobachtungsmission 2022 (vom 10. bis 17. Juli) konnten wir 14 Tunesier in Seenot mit Rettungswesten und Trinkwasser versorgen. Wir fanden ein leeres Holzboot kurz vor der Küste Lampedusas. Und wir trainierten als Crew der Nadir vor den Küsten Libyens und Tunesiens „Rettungsmanöver“.

Sicherheitseinweisungen und RHIB-Training

Am Abend des 4. Juli kam die Crew der Mission 4 das erste Mal zusammen: Stefen, Zoe, Antonia, Olaf, Gerhard, Hilmar und Friedhold. Im Hafen besprachen wir den weiteren Verlauf der nächsten Tage. So führten wir gemeinsam RHIB-Trainings und Reparaturen an der Satellitenanlage und des Autopiloten durch und erhielten Einweisungen zur Schiffssteuerung und zu den Sicherheitsvorkehrungen an Bord. Am Morgen des 10. Juli verließen wir die maltesischen Hoheitsgewässer. Nachmittags übten wir dann das Aufpumpen des Raftingboots von der Aurora, das sie uns bei der letzten Mission geliehen haben. Als sich die Hitze gegen Abend reduzierte, trainierten wir mit dem RHIB auf dem Mittelmeer „Person over Bord“-Manöver, Noseing und Launching. Auch wenn die Nadir kein Rettungsschiff ist, müssen wir bereit dafür sein, Ersthilfe für Seenotfälle zu leisten.

Resqship-Nadir-Rhib-Training

Erster Einsatz

Am Morgen des 12. Juli erhielten wir und die zuständigen Rettungsleitstellen von Alarm Phone (AP) eine offizielle Mail mit Informationen über ein Holzboot mit Motorausfall in der italienischen SAR-Zone. AP gab an, dass eine Frau auf dem Boot dabei wäre, ein Kind zu gebähren, und sie sofort medizinische Hilfe benötigen würde. Unter den angegebenen Koordinaten konnten wir leider kein Boot auf dem Meer sichten. Stundenlang suchten wir das Gebiet ab. Erst am Abend erfuhren wir, dass es das Boot nach Lampedusa geschafft hatte und die schwangere Frau an Bord sofort ins Krankenhaus gefahren worden war. Wir hoffen, dass es ihr gut geht.

14 Tunesier in Seenot

Während wir die nächsten drei Tage auf Nord-Süd-Kurs im Search-and-Rescue-Gebiet fuhren, beschäftigten wir uns mit theoretischen und praktischen Segeleinheiten sowie dem Durchgehen von „Rettungsmanövern“. Am 15. Juli begannen wir,  im Ost-West-Suchmuster zu patrouillieren. Am Nachmittag informierte uns dann das zivile Aufklärungsflugzeug Seabird über ein weißes Holzboot mit 15 Personen in Seenot, ca. 2,5 Stunden von uns entfernt. Wir setzten Kurs und bereiteten uns auf einen Einsatz vor. Währenddessen erhielten wir von der Seabird Informationen über zwei weitere Boote mit über 30 Personen. Wir wussten, dass wir gerade das einzige zivile Hilfsschiff im zentralen Mittelmeer waren. Von den Behörden gab es keine Reaktion. Die Entscheidung, sich nur auf ein Boot zu konzentrieren und nicht über den weiteren Fahrtverlauf der anderen zwei Boote Bescheid zu wissen, fiel uns schwer.

Seabird-Boot-in-Seenot-luftaufnahme

Am Abend sichteten wir dann das weiße Holzboot und bereiteten Rettungswesten und Trinkwasser vor. Das kleine Boot war überfüllt und nicht hochseetauglich. Unser RHIB-Fahrer Olaf machte sich mit Zoe und Stefen auf den Weg zu dem Boot. Stefen erklärte den Menschen auf der Flucht, dass wir ihnen helfen wollen. Sie nahmen unsere Hilfe an. Unsere Crew winkte den aus Tunesien stammenden Menschen beim Näherkommen freundlich zu. Einer der Insassen rief daraufhin auf Deutsch zu uns „Dankeschön“.

Wir meldeten den Fall an die Behörden und forderten Unterstützung an, damit die Menschen von einem größeren Schiff aufgenommen werden. Doch wieder blieb eine Reaktion aus. So fuhren wir die erste Stunde mit ihnen zusammen Richtung Norden, während ihr Holzboot zwar langsam, aber sehr wackelig gegen die See ankämpfte. Als die Sonne dann langsam hinter dem Horizont verschwand, brach die RHIB-Crew erneut auf, um den Tunesiern für die Nacht Handleuchten zu geben.

Resqship-Nadir-Flüchtlingsboot

Abbruch des Einsatzes

Der Plan, die Menschen zu begleiten, um bei Bedarf sofort weitere Hilfe leisten zu können, wurde unterbrochen von einem Kurzschluss an Bord, bei dem elektrische Kabel verschmort sind. Während wir die Elektrik an Bord der Nadir vorübergehend abschalten mussten, entfernte sich das weiße Holzboot weiter in der Dunkelheit. Ohne die funktionierende technische Einrichtung konnten wir sie leider nicht weiter begleiten. Unsere Techniker brachten die Schiffselektrik zügig wieder zum Laufen. Um Mitternacht setzten wir dann wieder Kurs Richtung Lampedusa und hielten Ausschau nach dem weißen Boot. Kurz vor Sonnenaufgang entdeckten dann Zoe und Hilmar ein leeres Holzboot mit den Initialen der italienischen Küstenwache CP. Es war nicht unser weißes Holzboot mit den Tunesiern, aber dennoch ein gerettetes Boot, 30 Seemeilen vor den Grenzen Europas. Während unseres Einsatzes am Wochenende vom 15. bis 17. Juli erreichten ca. 750 Menschen die kleine Insel Lampedusa. Später erfuhren wir, dass darunter auch die 14 Tunesier waren. Wir wünschen ihnen das Beste auf ihrem Weg.

Resqship-Nadir-leeres-Holzboot

Was an den Grenzen Europas geschieht

Vor der Festung Europas sind dieses Jahr schon mindestens 1000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, weil es keine legalen Migrationsrouten gibt. Was an den Grenzen Europas geschieht, ist das Ergebnis jahrelanger Abschottungspolitik. Nach wie vor werden Menschen von der libyschen Küstenwache in überladenen, seeuntüchtigen Booten abgefangen und zurück in libysche Haftanstalten gebracht. Obwohl der Grundsatz des Non-Refoulements die Rückführung von Menschen in Staaten verbietet, in denen sie von Menschenrechtsverletzungen bedroht werden. Aber Europa kommt der Verpflichtung nicht nach, diese Menschen in sichere Häfen zu bringen. Das macht uns sprachlos, aber nicht tatenlos.

Fotos: Antonia Laß (außer die beiden Luftaufnahmen: Sea-Watch/Seabird)

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