Bericht: SoliSARity Festival

Bild: Eröffnung des Festivals mit Parwana Amiri, Eric Mbiakeu und Stefen Seyfert. Credits: Paula Gaess

 

 

Von den Straßen zum Mittelmeer: SoliSARity 2024

„Das europäische Schweigen ist Teil der Gewalt“ – mit diesen Worten erinnert ein Aktivist für Geflüchtete und Eröffnungsredner des SoliSARity-Festivals daran, dass Menschen auf der Flucht nicht nur unter der expliziten Gewalt des Grenzregimes der Festung Europa leiden, sondern auch unter der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber dieser bestehenden Gewalt.

Das erste SoliSARity Festival 2024, das von RESQSHIP-Aktivist:innen organisiert wurde, brach dieses Schweigen für einen Moment. Das soziokulturelle Event fand vom 23. bis 25. August in Leipzig in der wunderschönen Location “Wolkenschachlenkwal“ unseres Kooperationspartners Mehrweg e.V. statt.

Die Idee des Festivals war es, einen Raum für den Austausch von Wissen zu Themen rund um RESQSHIPs Such- und Rettungsaktivitäten auf See zu schaffen – und dabei die Perspektive von Geflüchteten und marginalisierten Stimmen in den Mittelpunkt zu stellen. Im Rahmen unserer Aufklärungsarbeit an Land wollten wir alle interessierten Menschen über die Situation auf der Fluchtroute Mittelmeer informieren, uns kritisch mit den bestehenden Realitäten auseinandersetzen und über einige der politischen und humanitären Fragen nachdenken, die unsere Einsätze im zentralen Mittelmeer seit Jahren bestimmen. Gleichzeitig diente die Veranstaltung der Vernetzung mit bereits engagierten Einzelpersonen, Gruppen und Verbänden, um die gesellschaftliche Solidarität mit Menschen auf der Flucht zu stärken.

Was können wir nun berichten? Es stellte sich heraus, dass SoliSARity 2024 für zweieinhalb Tage genau dieser Raum wurde. Trotz der ostdeutschen Sommerhitze in Leipzig kamen etwa 161 Besucher:innen in den gemütlichen Wolkenschachlenkwal, um an dem abwechslungsreichen Programm teilzunehmen. Am Freitagabend begann das Festival mit den Erfahrungen von Parwana Amiri und Eric Mbiakeu, Aktivist:innen mit Fluchterfahrung, die uns über ihre Kämpfe, ihre Flucht und ihren Widerstand berichteten. Diese kraftvolle Eröffnung wurde ergänzt durch ein berührendes Konzert der langjährigen RESQSHIP- Unterstützerin Gloria Blau, den spektakulären und politisch inspirierenden Hip-Hop-Act von Jay Jules und seinem Live-Schlagzeuger und das Abschlusskonzert der lokalen Band 2ersitz, deren akustische Gitarrenklänge perfekt in die laue Leipziger Sommernacht passten.

Drei Tage lang haben uns unsere Freund:innen aus der Küche mit leckerem Essen bekocht. Wir empfehlen: gebratene Kochbananen!

 

 

Am Samstag lag der Schwerpunkt auf dem Austausch von Wissen: In einem Panel zu Pushbacks und Pullbacks wurde aus juristischer und aktivistischer, aber auch aus Geflüchtetenperspektive beleuchtet, wie die Europäische Union mit dem aktuellen rassistischen Grenzregime das koloniale Erbe reproduziert. Ein Panel mit Teilnehmer:innen von Alarm Phone und Captain Support Network sowie dem Universitätsprofessor Mahmoud Keshavarz analysierte kritisch die Praxis des Schmuggels und dekonstruierte dieses Konzept im Sinne des Festivalmottos: „Was ist das Überschreiten einer Grenze im Vergleich zum Fabrizieren der Grenze?“ Es folgte ein Workshop zur informativen Dekonstruktion von Frontex. In der Zwischenzeit konnten die Besucher:innen an einem Workshop teilnehmen, bei dem sie ihre Lieblingsslogans der Solidarität mit Menschen auf der Flucht auf ihre T- Shirts drucken lassen konnten. Im Innenbereich war der Raum voll, als der Dokumentarfilm “ABBAS” des Filmemachers und Künstlers zeyo.mann gezeigt wurde. Die Besucher:innen wurden auch von der Ausstellung „now_you_see_me_moria“ tief berührt, in der aussagekräftige Bilder gezeigt wurden, die Geflüchtete in Moria und in anderen Lagern – oft illegal – aufgenommen haben, um das Lagersystem als Ort der Segregation und Unterdrückung anzuprangern.

Nach diesem Festivaltag voller Informationen, Debatten und kritischer Auseinandersetzung brachten drei Acts frische musikalische Energie. Bedroom June aus Hamburg berührte uns mit ihren verträumten Indie-Songs, bevor das Duo Filo & Eisman aus Leipzig die Menge mit einer ebenso eloquenten wie energiegeladenen deutschen Hip-Hop-Performance in ihren Bann zog. Den Abschluss des SoliSARity- Haupttages bildete der unglaubliche zeyo.mann, der mit seinem Rap und arabischen Texten das Publikum verzauberte.

Am Sonntagmorgen fanden zwei Workshops zur Unterstützung unseres Schiffes NADIR im Einsatz und zur One-Fleet-Toolbox statt, an denen vor allem RESQSHIP-Aktivist:innen teilnahmen. Als Abschluss unserer politischen Veranstaltung trugen wir die Wut, den Zusammenhalt und die Freude unseres Festes auf die Straße, indem wir unsere Forderungen in einer friedlichen Kundgebung lautstark verkündeten. Der Marsch war von den Behörden genehmigt worden, doch die Polizei beschloss, einen von uns anzuhalten – aufgrund lächerlicher Anschuldigungen. Auf See sind wir es gewohnt, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem die Behörden ständig versuchen, zivile Such- und Rettungsaktionen zu behindern. Dieser Vorfall zum Abschluss unseres Festivals, wenn auch in kleinerem Rahmen, hat uns daran erinnert, dass die Solidarität mit Menschen auf der Flucht wichtiger denn je ist. Das SoliSARity Festival von RESQSHIP hat das Schweigen in vielerlei Hinsicht gebrochen – in Form eines Argumentes, eines wütenden Schreis nach Gerechtigkeit oder eines solidarischen Lächelns. Es hat auch gezeigt, was mit gemeinschaftlichem, selbstorganisierten Engagement möglich ist. Diesen Weg wollen wir in unseren Aktionen fortsetzen. Wir danken allen Menschen, – ob RESQSHIP Aktive oder spontane Unterstützer:innen – die sich gemeinsam in der Organisation und Umsetzung des Festivals in Leipzig engagiert haben. Auch an Land wird RESQSHIP nicht aufhören, sich aktiv gegen das europäische Schweigen und für die Rechte von Menschen auf der Flucht einzusetzen.
 

Vielen Dank an alle, die an unserem ersten SoliSARity-Festival in diesem Jahr teilgenommen haben!

 

Ein besonderer Dank geht (in nicht-hierarchischer Reihenfolge) an:
Unsere Freund:innen und Kooperationspartner:innen von Mehrweg e.V.
 
Unsere Genossinnen und Genossen aus der Küche
Unsere Panelist:innen: Parwana Amiri, Eric Mbiakeu, Hermann Ntankeu Yoba, Mahmoud Keshavarz, Andreas
Unsere Performer:innen: zeyo.mann, Jay Jules, 2ersitz, Gloria Blau, Filo&Eisman, Bedroom June
Unsere Workshop-Veranstalter:innen: Alarm Phone, Captain Support Network, Now_you_see_me_moria, No border medics, Equal rights beyond borders

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