News vom 24. September 2024
Weiteres Boot in Seenot mit 60 Menschen auf dem Weg nach Lampedusa versorgt Migranten verwechseln italienische Küstenwache mit der sogenannten libyschen Küstenwache bei nächtlichem Rettungseinsatz
Gestern Mittag wurde das Segelschiff „Nadir“ der NGO RESQSHIP in internationalen Gewässern von der sogenannten libyschen Küstenwache aggressiv bedrängt. Die Patrouillenboote, die Italien an libysche Milizen verschenkt hat und die optisch den Booten der italienischen Küstenwache ähneln, sorgen für erhebliche Verwirrung und Gefahr. Bereits Anfang September führte diese Ähnlichkeit zu einem dramatischen Zwischenfall, bei dem über 40 Menschen während einer Rettungsaktion panisch ins Wasser sprangen, weil sie die italienische Küstenwache mit der sogenannten libyschen Küstenwache verwechselten – eine lebensgefährliche Folge europäischer Grenzpolitik.
In den gestrigen frühen Morgenstunden alarmierte das Netzwerk Alarm Phone über mehrere Boote in Seenot. Die Nadir begab sich daraufhin auf die Suche nach einem Glasfaserboot mit 70 Menschen an Bord. Nach stundenlanger Suche in internationalen Gewässern näherte sich plötzlich ein Patrouillenboot der sogenannten libyschen Küstenwache dem Segelschiff. Das Boot zwang das NGO-Schiff mit aggressiven Manövern, das Gebiet zu verlassen. Es gibt keinen Kontakt zu den 70 Menschen in Seenot und keine Möglichkeit, sie zu unterstützen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Menschen gewaltvoll nach Libyen entführt wurden. Dieser Vorfall ist nur eines von vielen erschreckenden Beispielen dafür, wie europäische Gelder und Ausrüstung zur Verfolgung von Schutzsuchenden und zur Behinderung ziviler Rettungsmissionen eingesetzt werden.
Das eingesetzte Patrouillenboot war eines der Boote, die Italien vor einem Jahr an die libyschen Milizen der sogenannten Küstenwache übergab. Seitdem wird es regelmäßig genutzt, um Flüchtende aufzuspüren, zu verfolgen und gewaltsam nach Libyen zurückzudrängen, wo sie oftmals in Folterlagern enden. „Die Boote sehen alle gleich aus, das ist erschreckend. Normalerweise rechnen wir auf solchen Schiffen mit der italienischen Küstenwache, doch gestern waren vermummte Personen der sogenannten libyschen Küstenwache an Bord“, berichtet Mirjam Reininger, Medienkoordinatorin an Bord der Nadir.
Bereits Anfang September hatte die Nadir-Crew die tödlichen Folgen dieser skandalösen Politik miterlebt. Am 1. September alarmierte das Aufklärungsflugzeug Seabird der NGO Sea-Watch die Nadir zu einem Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone. In der Nacht zum 4. September entdeckte die Crew das überfüllte Doppeldecker-Glasfaserboot mit etwa 120 Menschen und einem ausgefallenen Motor. Die Besatzung des Beiboots der Nadir evakuierte 50 Personen vom Oberdeck und alarmierte die zuständigen Behörden. Als die italienische Küstenwache gegen 3:15 Uhr eintraf und die Evakuierung begann, brach Panik aus: Über 40 Menschen sprangen aus Angst ins Wasser. Sie schwammen in Richtung der Nadir, weil sie die italienische Küstenwache mit der sogenannten libyschen Küstenwache verwechselten, die für ihre gewaltsamen Pullbacks bekannt ist. Die Besatzung der Nadir reagierte sofort, setzte Rettungsmittel ein und zog die Menschen inmitten hoher Wellen und chaotischer Zustände aus dem Wasser. Die Rettungsarbeiten dauerten über eine Stunde, während viele der Überlebenden vor Schock und Angst zusammenbrachen.
„Als wir die Überlebenden im Anschluss an die italienische Küstenwache übergaben, versteckten diese sich auf der Nadir. Sie glaubten uns nicht, dass es die Italiener waren und erzählten, dass sie solche Boote bereits mit bewaffneten Personen gesehen hätten. Einige zeigten mir ihre Narben. Die Panik stand ihnen ins Gesicht geschrieben“, berichtet Barbara Sartore, Crowdmanagerin an Bord der Nadir.
Die Schenkung von Patrouillenbooten durch die italienische Regierung an libysche Milizen ist sinnbildlich für eine umfassende europäische Strategie, die der Durchsetzung von Grenzgewalt Vorrang über Menschenleben einräumt. Durch die Ausrüstung dieser Milizen machen sich die EU-Staaten mitschuldig an gewaltsamen Zurückdrängungen, Misshandlungen und der vorsätzlichen Gefährdung von Schutzsuchenden. Dieser Vorfall muss den europäischen Regierungen als Weckruf dienen: Es ist an der Zeit, die Finanzierung von Grenzkriminalität einzustellen und das Leben von Menschen auf der Flucht zu schützen.
Bildnachweis: RESQSHIP/ Mirjam Reininger