Ein tragisches Schiffsunglück ereignete sich in der Nacht zum Ostersonntag: Ein Boot mit etwa 45 Menschen kenterte auf der Flucht von Tunesien nach Lampedusa. Die italienische Küstenwache war selbst im Dauereinsatz beim Abbergen von anderen Booten in Seenot und hatte deshalb die Nadir um Hilfe bei der Suche nach den Schiffbrüchigen gebeten. Nach einer Stunde Suchen im Dunkeln fand die Crew die Menschen hilflos im Wasser treibend. „Wir konnten sie in der Dunkelheit überhaupt nicht sehen, wir nahmen sie nur durch ihre verzweifelten Hilferufe wahr“, beschreibt Crewmitglied Martin Kolek die Situation.
22 Überlebende konnte die Crew retten und an Bord der Nadir nehmen. Zwei Menschen konnten nur noch tot geborgen werden, von ca. 20 weiteren fehlte jede Spur – für sie kam jede Hilfe zu spät. Die Überlebenden berichteten, dass sie bereits am Samstag in den frühen Morgenstunden in Tunesien abgelegt hätten und ihr Boot zwei Stunden vor Ankunft der Nadir gekentert sei. Von den italienischen Behörden bekam die Nadir nach der Rettung Lampedusa als sicheren Hafen zugewiesen. Am Nachmittag erreichte das Schiff die Insel, wo die Geretteten von Bord gehen konnten – und zwei Särge für die Toten warteten. Lest hier die Pressemitteilung zu den Ereignissen an Ostern.
Die Nadir war erst wenige Tage vor Ostern zu ihrer ersten Beobachtungsmission in diesem Jahr aufgebrochen und hatte ihren ersten Einsatz am Karfreitag: Sie fand ein mit 60 Menschen überfülltes Boot, das noch fahrtüchtig war, und begleitete es, bis ein Schiff der italienischen Küstenwache kam und alle sicher aufgenommen hat. Danach ging es Schlag auf Schlag: Von Aufklärungsflugzeugen und Alarmphone wurde ein Seenotfall nach dem anderen gemeldet. Die Nadir fand weitere sieben Boote und konnte insgesamt über 300 Menschen helfen, wobei eine Person nur tot geborgen werden konnte. Zusammen mit den Überlebenden vom Ostersonntag betrauerten wir mindestens 23 Tote, während Christen in aller Welt das Fest der Auferstehung feierten.
Dramatische Zahlen: Ankommende und Tote
An diesem Osterwochenende waren so viele Boote wie selten zuvor unterwegs, die meisten starteten von Tunesien. Kein anderes NGO-Schiff war unterwegs, die italienische Küstenwache gab ihr Bestes und war wie die Nadir im Dauereinsatz. In nur 24 Stunden kamen auf der Insel Lampedusa etwa 1000 Menschen an. Am gesamten Osterwochenende waren es sogar mehr als 2000 Menschen, die in Lampedusa ankamen, woraufhin Italien den Notstand ausrief.
Auch die Zahl der Ertrunkenen erreicht einen traurigen Wert: Allein im ersten Quartal 2023 starben laut einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 440 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer – so viele wie seit sechs Jahren nicht mehr.
Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland
Und was macht die EU angesichts dieser Tragödien? Nichts bzw. weiter wie bisher: die eigenen Grenzen abschotten um jeden Preis. Das Ertrinken von Menschen auf der Flucht wird billigend in Kauf genommen, und wenn sie doch die Überfahrt nach Europa schaffen, will man sie möglichst schnell wieder abschieben, vor allem wenn sie aus Tunesien kommen. Doch Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland und auch kein sicherer Ort für aus Seenot Gerettete.
In den letzten Monaten hat sich die politische Situation in Tunesien verschärft und die rassistische Gewalt zugenommen. Schwarze Menschen sind Überfällen und institutionalisierter Gewalt ausgesetzt, Aktivisten werden kriminalisiert und verfolgt. Die Menschenrechtsverletzungen der tunesischen Küstenwache sind hinreichend dokumentiert. Aus Seenot Gerettete erleiden häufig Gewalt, Inhaftierungen und illegale Abschiebungen.
Gemeinsam mit über 60 weiteren NGOs und Netzwerken von Geflüchteten fordern wir deshalb die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten auf, die Migrationsabkommen mit Tunesien zu beenden und dass im Mittelmeer gerettete Menschen nicht nach Tunesien zurückgeschickt werden. Lest hier das komplette gemeinsame Statement auf Deutsch und auf Englisch.
Crew-Wechsel – nächste Mission startet in wenigen Tagen
Die aktuelle Crew ist nach ihren anstrengenden Einsätzen inzwischen wieder planmäßig auf dem Rückweg nach Malta. Nach dem Crew-Wechsel soll die Nadir schon nächste Woche wieder ins Einsatzgebiet aufbrechen, um weiter Menschen in Seenot zu helfen. Damit wir das tun können, brauchen wir eure Hilfe.
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Andrea Finkel vom RESQSHIP-Team in Augsburg
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Veranstaltungshinweise
- Ausstellung und Vortrag „Fluchtroute Mittelmeer“ am Samstag, 22. April 2023, ab 18 Uhr im Horror Vacuii, Käthe-Kollwitz-Str. 5, Leipzig – mehr Infos gibt es hier!
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